Brandseeschwalben im Flug, © Beate Ulich

Die Helden der Lüfte


Ein Naturphänomen geballter Höchstleistungen: Wenn Zugvögel im Herbst aus ihren Brutgebieten zurück in die Überwinterungsgebiete ziehen, legen viele 10.000 Kilometer Strecke zurück. Im UNESCO Weltnaturerbe Wattenmeer pausieren die Stars der Lüfte, die auf dem Ostatlantischen Zugweg unterwegs sind, und lassen sich bei ihrem Boxenstopp beobachten.

 

von Gela Brüggemann

Das ist ein Wimmeln, Tschirpen und Flattern, wenn sich unzählige Vogelarten zum Auftanken für ihre große Reise im Wattenmeer der Nordsee versammeln. Allein vom amselgroßen Knutt machen 350.000 hier Station, vom kleineren Alpenstrandläufer fast eine Million. Ein faszinierendes Naturschauspiel, für das Fans von weit angereist kommen:

Wenn sich die Tiere auf einen Schlag in die Luft erheben und als Schwarm Formationen fliegen, geraten auch Nicht-Ornithologen ins Staunen. Als hätte der Schwarm ein Eigenleben, wäre ein eigenes Wesen, bewegen sich die Tiere im Gleichklang zu immer neuen Formen. Wieso kommt es bei so vielen Tieren und so rasanten Manövern eigentlich nicht zu Zusammenstößen? Wie funktioniert Schwarmkommunikation eigentlich? „Jedes Tier tut einfach das, was der Nebenmann tut“, sagt Onno K. Gent, Nationalpark Ranger im Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer.

Bis in den Juni bleiben manche Arten im Wattenmeer, bevor sie zu von 4.000 Kilometern und mehr in ihre Brutgebiete in Nordostsibirien oder Island, Grönland und Kanada aufbrechen – viele von ihnen in einem Nonstopflug. Die Tundra bietet erst im Sommer die richtigen Voraussetzungen zur Brut. So ein Marathon in den Lüften ist eine Einzel- und eine Gruppenleistung die den Tieren alles abverlangt. Gleich nach der Ankunft beginnen sie mit Balz, Nestbau und Eiablage.

Route der Zugvögel, © Nationalparkverwaltung niedersächsisches Wattenmeer

Einer dieser Superstars der Lüfte ist die Küstenseeschwalbe. Sie fliegt innerhalb von zwölf Monaten mehr als 80.000 Kilometer zwischen Nord- und Südpol hin und her und das bei durchschnittlich gerade mal 100 Gramm Körpergewicht.
Ein anderer Hochleistungssportler ist die Pfuhlschnepfe. Um genügend Fett in den Körper einzubauen realisiert dieser Vogel eine enorme Gewichtszunahme. Sie verlassen die Nordseeküste mit gut einem Drittel ihres Körpergewichts mehr. Zum Vergleich: Bei einem Mensch von 80 Kilogramm, würde dies eine Gewichtszunahme von mehr als 2,5 kg pro Tag bedeuten.
Wer Urlaub an der Niedersächsischen Nordsee macht und das Naturschauspiel beobachten möchte, kann die Tiere z. B. an den Hochwasserrastplätzen bei Campen und Upleward, am Pilsumer Leuchtturm, in Norddeich am Osthafen beim Hochwasserrastgebiet, am Spülsiel in Neßmersiel und auf allen Inseln an den Westenden und am Strand beobachten.

Fünf Fragen an Nationalpark Ranger Onno K. Gent:

Frage 1: Wie hoch fliegen die Zugvögel?

Onno K. Gent: Fast alle Zugvögel können in großen Höhen fliegen. Dies ist für die Langstreckenzieher auch notwendig, da sie Rückenwind benötigen, um überhaupt ihr Ziel erreichen zu können. Sie suchen sich daher eine Luftschicht aus, in der sie am meisten Rückenwind haben. Daher fliegen viele Arten, die ihren Rückweg aus Afrika antreten in bis zu 5 km Höhe.

Frage 2: Rasten die Tiere auf ihrem Weg aus oder nach Afrika?

Onno K. Gent: Die einzelnen Vogelarten verfolgen unterschiedliche Zugstrategien. So gibt es Vögel, die in kurzen Hopps fliegen, weil es viele Gebiete auf dem Weg gibt, in denen genügend Nahrung und Rastmöglichkeit zur Verfügung steht. Ringelgänse verfolgen diese Strategie zwischen dem Wattenmeer und ihren Überwinterungsgebieten an der französischen Atlantikküste. Andere versuchen den Weg aus dem oder in das Wattenmeer in einem Sprung zu schaffen. Insbesondere im Frühjahr haben diese Vögel oft mit schlechter Windunterstützung zu kämpfen. Falls viel Gegenwind herrscht, ist die französische Atlantikküste um La Rochelle ein geeignetes Zwischenrastgebiet (siehe Karte „Ostatlantischer Zugweg“).

Onno K. Gent, © Nationalparkverwaltung niedersächsisches Wattenmeer

Frage 3: Woher weiß man das?

Onno K. Gent: Die älteste Methode ist die Beringung, die noch heute praktiziert wird. Inzwischen gibt es genauere Methoden, um die Flugstrecken von Vögeln zu verfolgen. Einige Vögel werden z.B. mit Peilsendern ausgestattet, die entweder im Kontakt mit Satelliten stehen, oder aber die Ortsinformationen sammeln und wenn sie im Bereich eines Mobilfunkmastes sind, diese Informationen per SMS senden. Für die Erfassung der groben Zugwege und des Timings werden aber auch Lichtlogger verwendet. Diese Logger sind sehr klein und können z.B. an einem Vogelring befestigt werden. Nach einem Jahr müssen die Vögel allerdings wieder gefangen werden, um die Daten auszulesen.

Frage 4: Welche Tiere leisten am meisten?

Onno K. Gent: Jeder Vogel leistet auf seine Art Großes. Der Steinschmätzer zum Beispiel brütet auf den hocharktischen Inseln und überwintert genauso wie seine Artgenossen, die in Mitteleuropa brüten, südlich der Sahara. So legen diese Tiere innerhalb eines Jahres 30.000 Kilometer zurück. Inklusive zwei Mal ca. 3.500 Kilometer Nonstop-Flug von Europa über den Nordatlantik zu den arktischen Inseln. Für einen spatzengroßen Singvogel eine sehr beachtliche Leistung.

Frage 5: Wann ist die beste Zeit, sich das Spektakel anzusehen?

Onno K. Gent: Als nächsten Event würde ich die Zugvogeltage im Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer im Oktober empfehlen. Dann kann man sich aus über 250 Veranstaltungen zum Vogelzug und den Zugvögeln des Wattenmeeres die auswählen, die einen am meisten interessieren. Das ganze Programm findet man auf www.zugvogeltage.de.

Die Zugvogeltage am Wattenmeer erleben

 

Lachmöwen, © Beate Ulich

Zugvogeltage


Im Oktober stehen an der niedersächsischen Nordsee die Zugvögel im Mittelpunkt. Alle Infos zum Programm gibt es hier.

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Gut übernachten