Drei Kapitäne, © Valeria Fasolino, Kathrin Morf

Touristen statt Fische im Fokus


Das Meer lockt die Touristen auf vielerlei Art und Weise an die Niedersächsische Nordseeküste: Die heimische Küche besticht mit frischen Meerestieren, ausgedehnte Strände laden zum Baden ein und bei Ebbe bieten sich Wattwanderungen an. Zudem widmen sich zahlreiche Nordseekapitäne längst dem Tourismus statt der Fischerei. Das «wave» hat drei dieser Seebären begleitet und dabei sowohl Seehunde erspäht als auch Segel gesetzt – und erfahren, dass die grösste Berühmtheit eines friesischen Dorfes auch einmal ein Schiff sein kann. 

 

Text: Kathrin Morf; Fotos: Valeria Fasolino, Kathrin Morf, http://wave-mag.ch/

Kapitän 1 - Jens Tattje, © Valeria Fasolino, Kathrin Morf

Auf den flachen Weiden erblickt man widerkäuende Kühe, an den langen Sandstränden reiht sich Standkorb an Strandkorb und in den malerischen Dörfchen werden die würzigen Nordseekrabben genauso häufig feilgeboten wie das herbe Bier der Region. Die Niedersächsische Nordseeküste hat ihren ganz eigenen Charme, wobei besonders auf seine Kosten kommt, wer das Nautische liebt: Das Wattenmeer, 2009 zum UNESCO-Weltnaturerbe erklärt, ist allpräsent. Ja, es scheint, als habe sich eines Tages der Himmel aufgetan und Abertausende Bilder von Ankern, Fischen und Schiffen auf alles geschüttet, was man erblickt. Dies ist vordergründig mit der Geschichte der Region erklärbar, lebten hier doch einst unzählige Menschen von der Fischerei. Inzwischen haben sich viele hiesige Seefahrer jedoch auf einen anderen «Fang» spezialisiert: Touristen. Das «wave» ist mit drei dieser Kapitäne übers die Nordsee geschippert.

Kapitän 1: Der Reederei-Angestellte

Der erste Kapitän hat am eigenen Leib erfahren, wieso sich viele Einheimische von der Fischerei abgewandt haben: Jens Tattjes Urgrossvater war genauso ein Fischer wie sein Grossvater und Vater, und auch der heute 46-Jährige verdiente sich einst seine Brötchen auf seinem eigenen Fischkutter. Doch während die Fische in der Nordsee weniger wurden, nahm die Zahl der Vorschriften stetig zu: So wurden strenge Fangquoten eingeführt und all die Bewilligungen verschlangen alsbald mehr Geld, als der spärlich Fang einzubringen vermochte. «Irgendwann war das Ganze nicht mehr finanzierbar», berichtet Tattje, der seine Fischermütze vor 18 Jahren an den Nagel hängte.

Seither ist er Angestellter der Reederei Warrings in Wilhelmshaven und sticht beispielsweise mit dem Pas-sagierschiff «Harle Kurier» in See, wenn die Ebbe zahlreiche Sandbänke aus den Fluten auftauchen lässt. Denn ebendiese Sandbänke sind unter Seehunden äusserst beliebt, liegen die pelzigen Tiere doch gerne wie Touristen im Sand und lassen sich die Sonne auf die Bäuche scheinen. Die Wasseroberfläche funkelt im gleissenden Licht der Sonne, als Tattje sein Schiff an diesem Septembertag durch die schmalen Was-serstrassen steuert. Dass sich mancherorts nur noch ein guter Meter zwischen Kiel und Meeresgrund be-findet (bei Flut sind es fünf Meter), vermag den Kapitän nicht aus der Ruhe zu bringen. Einerseits kennt er die Nordsee rund um Wilhelmshaven wie die Westentasche seiner Kapitänsuniform. Andererseits hat die acht Meter aus dem Wasser ragende, 37 Meter lange «Harle Kurier» einen Tiefgang von gerade einmal einem Meter. «Sollten wir trotz allem auflaufen, haben wir genug Nahrungsmittel an Bord. Und das Wasser kommt ohne Zweifel zurück», ergänzt Tattje lakonisch. Ja, die Einheimischen grüssen zwar ganztags mit «Moin», sind ansonsten aber eher schweigsam – und wenn sie einmal etwas sagen, wirken ihr Umgangston und Humor bisweilen genauso rauh wie das zeitweise Wetter der Region. «Wir Friesen sind vielleicht etwas eigen und knorrig», räumt Tattje ein. «Aber wir sind ganz sicher keine Bösen. Im Gegenteil!» 
Dann erblickt der Kapitän dösende Seehunde in der Ferne und verkündet dies per Mikrophon. Aufgeregt lehnen die Touristen daraufhin über die Reeling, juchzen und stieren durch Ferngläser, die zu Beginn der Fahrt in weiser Voraussicht verteilt worden sind. «Ich liebe meinen Job, auch wenn die Fischerei sicherlich der ruhigere Beruf war», sagt Tattje schmunzelnd. Fragt man den 46-Jährigen, ob er ohne das Meer würde leben können, zögert er keine Sekunde. «Nee», antwortet er prompt – und erzählt, wie er bereits im Alter von fünf Jahren auf dem Boot seines Vaters mitgefahren ist. «Die Seefahrt habe ich im Blut», erklärt er und fügt mit einem Augenzwinkern an: «Aber ich bin auch an Land erträglich. Zumindest, wenn der Aufenthalt nicht zu lange dauert.» 
 

Kapitän 1 - Jens Tattje, © Valeria Fasolino, Kathrin Morf
Kapitän 2 - Axel Tschiersch, © Valeria Fasolino, Kathrin Morf

Kapitän 2: Der Segler

Die als Marinestützpunkt gegründete Stadt Wilhelmshaven ist mit ihren rund 80’000 Einwohnern vergleichsweise klein, hat aber viel zu bieten: Im Deutschen Marinemuseum können Touristen zum Beispiel grosse Zerstörer oder sogar ein U-Boot besichtigen. In Wilhelmshaven zuhause ist auch der zweite Kapitän dieser Geschichte: Axel Tschiersch, der seit 30 Jahren segelt und seit zwölf Jahren auf seiner Yacht «Sleipnir» zahlende Gäste empfängt. Das 29-Fuss-Schiff ist nicht ansatzweise so furchteinflössend wie das achtbeinige Pferd des nordischen Kriegsgottes Odin, dem sie ihren Namen verdankt. Das einzige Bedrohliche an diesem Spätsommertag sind die Wolkenberge am Horizont, welche die Segler wissen lassen, dass sie wohl nicht trockenen Hauptes in den Hafen zurückkehren werden. Bald schiesst die «Sleipnir» über die Wellen und dem 2012 errichteten Frachthafen von Wilhelmshaven entlang. Ruhig hält der Skipper die Pinne in der Hand – und erzählt, wie aus seiner Leidenschaft fürs Segeln sein Beruf geworden ist.

Tschiersch hat Sportwissenschaften studiert und danach einige Jahre als Coach für Kommunikation und Teamentwicklung in Frankfurt am Main gearbeitet, aber ganz glücklich wurde er fern «seiner» Nordsee nicht. Im Büro hörte er des Öfteren, wie draussen vor dem Fenster die Seile gegen die Fahnenmasten schlugen, und dies weckte in ihm die Sehnsucht nach dem Segeln. «Das Geräusch erinnerte mich an das Grossfall, das gegen den Mast schlägt», erklärt er.

Und so zog es ihn eines Tages zurück in die Heimat, wo vor zwölf Jahren die lokale Segelschule einen neuen Besitzer suchte. «Ich dachte, dass ich es eines Tages bereuen würde, wenn ich diese Gelegenheit nicht ergriff», sagt er. Seither bildet der heute 48-jährige Familienvater angehende Segler und Motorbootführer aus und nimmt zahlende Gäste auf Törns mit – auf zweistündige genauso wie auf mehrtägige. «Dabei bin ich als Segler gewissermassen das schwarze Schaf der Familie bin», scherzt er: Sein Opa und sein Vater waren Angehörige der Marine.

Auf See wirkt Tschiersch sogar dann noch fröhlich, als der Himmel seine Schleusen öffnet und ein Unwetter auf die «Sleipnir» niederfahren lässt. «Vielleicht bin ich beim Segeln tatsächlich immer gut drauf. Aber sagen wir einmal, es gibt Schattierungen von gut drauf», präzisiert er lachend, während der Regen heftig auf seine Schutzkleidung prasselt. Er habe aber auch keinen Grund zum Klagen. Noch heute fasziniere es ihn tagtäglich, wie der Wind mit den Segeln zu arbeiten vermag. Zudem habe er noch nie unausstehliche Gäste an Bord gehabt. «Manche Touristen werden aber fürchterlich seekrank», sagt er. Einen Mann, der «tiefgrün im Gesicht war», habe er gar am nächstgelegenen Ufer aussteigen lassen müssen, damit er mit dem Taxi nach Hause fahren konnte.

Kapitän 2 - Axel Tschiersch, © Valeria Fasolino, Kathrin Morf
Kapitän 3 - Anton Tapken, © Valeria Fasolino, Kathrin Morf

Kapitän 3: Besitzer einer Schiff-Berühmtheit

Den dritten Kapitän dieser Geschichte findet man im schmucken Ort Dangast, das rund 25 Kilometer südlich von Wilhelmshaven liegt, zum Landkreis Friesland gehört und von vielen Künstlern bevölkert wird. Eine besondere Berühmtheit unter Einheimischen und Touristen ist indes nicht ein Maler oder Bildhauer, sondern ein Ausflugsschiff: Die «Etta von Dangast», die Kapitän Anton Tapken gehört. An diesem Sonntag fährt das Ausflugsschiff zum Leuchtturm von Arngast, und bereits 45 Minuten vor dem Ablegen bildet sich eine Menschenschlange am Kai. Tapken begrüsst jeden Gast persönlich und sieht dabei aus wie die Kapitäne, die auf maritimen Produkten wie Fischstäbchen prangen: Sein Bart ist weiss, er hat ein von Wind und Wetter gegerbtes Gesicht und er trägt gern Uniform samt Kapitänsmütze. Zudem weiss er unzählige Geschichten vom Meer zu erzählen, wobei er das «r» rollt wie die Piraten in Hollywood-Filmen. Und wenn sich einmal etwas Seemannsgarn unter seine Anekdoten mischt, dann lacht er schallend, bis alle Passagiere miteinstimmen.

Tapken ist 74 Jahre alt, stammt aus einer Familie von Kapitänen und steuerte viele Jahre lang Containerschiffe über die mächtigen Ozeane. Eines Tages eröffnete er seiner Frau jedoch, dass er diesen schnelllebigen Beruf aufgeben und sich ein Ausflugsschiff kaufen wolle. Seine Angetraute war angetan von der Idee, und so erwarb Tapken im Jahre 1982 seine 24 Meter lange «Etta von Dangast», die man «pflegen muss wie eine Frau», wie er lachend erklärt.

1982 habe mancher Dorfbewohner hinter vorgehaltener Hand prophezeit, dass Anton Tapken mit einem solch grossen Schiff in Bäld bankrott sein werde. «Denkste!», kommentiert dies Anton Tapken heute. Der Kauf sei der richtige Entscheid gewesen, denn immer zahlreicher strömten die Touristen nach Dangast, wo sich das Schiff zur Berühmtheit mauserte und gar seine eigenen Wegweiser erhielt.

Die «Etta von Dangast» trägt den Namen der Ehefrau von Edo Wiemken, einem Häuptling, der vor rund 600 Jahren über die Region herrschte. Im Steuerstand des Schiffes finden sich Dutzende Erinnerungsstücke – Urkunden beispielsweise, welche der Kapitän höchstpersönlich für Paare fertigt, die ihre Vermählung an Bord feiern. Auf dem Unterdeck können die Passagiere derweil Getränke und Snacks erstehen. Und «vor dem Gesabbel des Kapitäns» habe man hier auch seine Ruhe, steht auf einem Schild geschrieben. Anton Tapken hat nämlich zum Mikrophon gegriffen, während sein Schiff den Leuchtturm von Arngast umrundet, der mitten in der Meeresbucht Jadebusen aus dem Wasser ragt. Der 35 Meter hohe Turm throne auf einer Betonplatte, die wiederum auf 112 Pfählen ruhe, erklärt der Kapitän. Auf der Rückfahrt nach Dangast betont der in die Jahre gekommene Seebär schliesslich, dass er keinen Gedanken an den Ruhestand verschwende. Stattdessen fasst er zusammen, was ihn mit den beiden anderen Kapitänen dieser Geschichte verbindet – neben seinem Beruf und der Tatsache, dass er in eine Seefahrerfamilie geboren worden ist. «Wieso soll ich ans Aufhören denken? Ich mache doch genau das, was ich machen will», sagt er. «Das Meer und die Schifffahrt sind meine Leidenschaft. Und sie werden es immer bleiben.»

Kapitän 3 - Anton Tapken, © Valeria Fasolino, Kathrin Morf

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